J. Monika Walther
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Was mache ich heute?

August 2002

"Handeln öffnet uns die Augen für das, was wir nicht wollen." Schreibt einer der seltsamsten deutscher Denker: Hans Kudszus (1901 bis 1977). Ein Philosoph, ohne Lehrstuhl, ohne Examen, ohne Doktortitel also, ohne wissenschaftliche Veröffentlichungen, ja ohne ein Buch, hätten nicht Freunde Verstreutes gesammelt: "Das Denken bei sich", 117 Seiten. Schmal, aber dick von Erkenntnis, sagt Rolf Michaelis. Und dieser Satz von Hans Kudszus gilt für ihn selbst: "Er ‚brachte es zu nichts', weil er etwas war.

"Handeln öffnet uns die Augen für das, was wir nicht wollen." So ist es in den letzten Jahren mir ergangen. Viel gehandelt, immer gedacht, das wünsche ich mir, das möchte ich - und gelernt, dass ich all das, was geschah und was ich geschehen ließ und was ich anzettelte, dass ich all das nicht wollte. Nur im Ganzen, mit all den Handlungen, bin ich da angekommen, wo ich jetzt gerne sein möchte: Jetzt mit 57 Jahren:

"Ich wünsche mir die Fähigkeit, auf meinem Platz zu leben, keinem besonderen und an keinem besonderen historischen Ort, schon an gar keinem, der erst erkämpft, weggenommen werden müsste. Ich möchte lernen in Skizzen zu leben und für jeden geglückten Tag an meinem Ort mit meinem Glück oder Unglück, mit meinem Mut oder meiner Feigheit einzustehen.

Die mögliche Sprache der Verständigung muss nicht die Sprache sein, die ich beherrsche. Die Mühe möchte ich verwenden auf die Übersetzungen, auf die Entstehung von Langsamkeit in der Annäherung und in der Zeit, weil ich dann hoffen kann, Zeit für Zukunft zu haben."

Das habe ich vor vielen Jahren geschrieben und gar nicht gewusst, was ich da denke und aufschreibe und mir wünsche. Jetzt kann ich Nähe fühlen und auf einem Stuhl Platz nehmen.

"Handeln öffnet uns die Augen für das, was wir nicht wollen." Die meisten Deutschen müssten der Legende nach ja blind sein, nicht nur weil sie "damals", also nach 33 nichts gesehen und gehört haben, das ist eine bemerkenswerte Geschichte, wie so viele blinde Hasen in voller Montur blindlings, nichts sehend und hörend, quer durch die Welt gerannt sind, nein, diese Legende meine ich nicht, sondern die: dass in Deutschland die kleinen Leute immer unschuldig sind, also zum Beispiel die Bauern, die Zwangsarbeiter anforderten und von dieser Ausbeutung profitierten. Oder all die noch kleineren Leute, die so preiswert an Haushaltsgeräte kamen oder Kleidung oder Möbel. Es sind nicht nur die großen Industriellen und Politiker, die Beute machten, nein, bei diesem kollektiven Raub von 1933 bis 1945 wurde die Beute so breit denn möglich verteilt - an die kleinen Leute. Das ist nachgewiesen und es zeigt ein antidemokratisches Verständnis, wenn bis heute die vielen kleinen Leute so weit entmündigt werden, dass sie nicht einmal als schuldfähig angesehen und behandelt werden, denn Schuld wird in der öffentlichen Diskussion wie zuletzt um die Gemäldesammlung von Christian Friedrich Flick nur bei den großen Industriellen gesucht oder ihnen zugewiesen, es ist aber nicht nur die Industrie haftbar für etwas zu machen, wovon das deutsche Volk in seiner arischen Gesamtheit profitiert hat.

Was ich heute tue? Über die Ökonomie der Liebenden nachdenken und über Spielsucht und über weiße Neger und mich über meine achtzig Gigabyte-Festplatte freuen. A bissel und a bissel gibt vielleicht Nahrung für einige kleinere Schüsselchen auf Dauer, aber mit dem ganz großen Löffel darf da keiner am Tisch sitzen. Oder?